Leerstand in der Innenstadt – Bürgermeister, Verwaltung und Politik äußern sich

Die Innenstadt in Lemgo verändert sich. Im Bericht vom 9. Januar berichteten wir über die Leerstandsituation, skizzierten den Ist-Zustand und holten erste Stimmen ein. ‚Chance oder Krise‘ titelten wir, denn es bedarf der koordinierten Zusammenarbeit aller Bürger und Entscheidungsträger, um aus der jetzigen Situation eine Chance zu generieren. Wie angekündigt vertiefen wir uns in die Materie, und wollen unseren Lesern so viel Information als möglich bieten, um sich eine fundierte Meinung zu bilden. Wir beginnen unsere Reihe mit der Sicht des Bürgermeisters Markus Baier als Oberhaupt der Verwaltung und Stellungnahmen der Partei-Politik zur Zukunft der Innenstadt. Wir fragten die Fraktionen des Stadtrats, wie sie die Lage beurteilen und welche Konzepte aus der Krise eine Chance machen. Zusätzlich interessierte uns, wie sie auf die überaus häufig geäußerte Kritik der Händler und Bürger auf die vermeintlich unzureichenden Parkplätze in Geschäftsnähe und deren Preisgestaltung antworten.
In unserem Gespräch mit Bürgermeister Markus Baier und Tobias Vietz (Wirtschaftsförderung) stimmen beide überein, dass die Zunahme der Leerstände in dieser Zahl in so kurzer Zeit auch für die Verwaltung überraschend kam. Nichtsdestotrotz sehen sie Lemgo gut aufgestellt, die ‚flankierenden Strategien und Maßnahmen für eine belebte Innenstadt‘ würden greifen. Herr Vietz verweist auf die nach seiner Meinung gute Quote (61% der geförderten Projekte bleiben gewerbetreibend in der Stadt) bei dem ‚Programm zur Wirtschaftsförderung der Innenstädte‘. „Wo findet man denn sonst so eine Quote?“, fragt er. Markus Baier verdeutlicht, dass „Immobilienbesitzende, Ansiedlungswillige/Existenzgründer aufeinander zugehen müssen“ und „eine Innenstadt wie man sie aus den 80er Jahren noch kennt, künftig nicht mehr funktionieren wird“. Das Konzept und die Maßnahmen der Verwaltung der Stadt Lemgo fasst er wie folgt zusammen:“
1. Stärkung der Lemgoer Einzelhändler:
Über Lemgo Marketing bieten wir den Einzelhändlern eine Möglichkeit sich zu vernetzen, das Standortmarketing konzertiert und in deren Sinne zu gestalten. Gleichzeitig werden einige, überregionale bekannte Veranstaltungen durchgeführt, welche die touristische Attraktivität und auch den lokalen Anreiz Lemgo zu besuchen positiv beeinflusst.
2. Kulturelles Angebot:
Kultur sehen wir als eine weitere Facette, die im Innenstadtbereich für Attraktivität sorgt. Neben unseren Museen, der Musikschule, der Stadtbücherei, der Galerie haben wir zum Beispiel besondere Angeboten für Kinder und Jugendliche sowie Erwachsene. Die Stärkung des lokalen Vereinswesens vor Ort könnte hier in Zukunft auch eine Bedeutung haben.
3. Förderprogramme für neue Geschäftsansiedlungen:
Mit dem eigenen und dem Landesförderprogramm wollen wir weiterhin Neuansiedlungen zu unterstützen, die das bestehende Angebot in der Innenstadt bereichern. Hier werden wir nach der Ratssitzung, in der die Kriterien beschlossen werden sollen, noch eine umfassende Pressenotiz verfassen.
4. Fortschreibung des Einzelhandelskonzeptes
In diesem Jahr wollen wir das Einzelhandelskonzept Fortschreiben. Hieraus können auch Empfehlungen für Neuansiedlungen resultieren.
5. Gesamtstädtische Entwicklung:
Seit Jahren ist Lemgo bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten eine Einpendlerstadt. Durch die Schaffung von neuen Baugebieten werden wir in den kommenden Jahren auch die Lemgoer Bevölkerungsentwicklung stärken, was mittelbar sich auch in der Konsumnachfrage in der Innenstadt widerspiegeln wird.
6. Stärkung der direkten Umsatzmöglichkeiten
Seit Jahren wird das Konzept verfolgt, zusätzliche Wohnungen in der Innenstadt zu platzieren, um die innerstädtischen Funktionen zu stärken (z.B. Primkerstraße, Ostertor, Hansecenter, Schuhstraße), die Einwohnerzahl ist in der Altstadt gestiegen. Auch mit der Stärkung des Tourismus durch die hohe städtische Investition in den Campingplatz, einem neuen Hotel in der Innenstadt und jetzt auch am Stadtrand wird das flankiert – Gäste erzeugen Kaufkraft.
7. Umfassende Innenstadtkonzepte
Die Innenstadt ist (neben dem Campusgelände) seit Jahren Schwerpunkt der Stadtentwicklung. Über Integrierte Städtebauliche Entwicklungskonzepte (ISEK) werden strategisch gesteuert Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung kontinuierlich mit den Bürgerinnen und Bürgern erarbeitet und dann umgesetzt (Mittelstraße, Tweten, Auenpark, Umbauförderung für Haus- und Hofflächen etc.). In 2024 wird ein neues ISEK für die Innenstadt aufgelegt, zu dem die Bevölkerung und die Händler ihre Impulse beitragen können.
Diese zum Teil sehr umfassenden Strategien und Maßnahmen können jedoch auch nur funktionieren, wenn Immobilienbesitzende, Ansiedlungswillige/Existenzgründer aufeinander zugehen. Dies betrifft die Punkte Mietzins, notwendige Investitionen in die Räumlichkeiten und die Bereitschaft Neuem Raum zu geben. Eine bewährte Innenstadt wie in den 80er Jahren kann in Zukunft nicht funktionieren.“
Er ergänzt: „Innenstadtentwicklung und -erhaltung ist ein vielfältiges Arbeitsfeld und kann nicht mit einer einzelnen Maßnahme bearbeitet werden. Der offensichtliche Wandel kann nur gestaltet werden, wenn die für die Rahmenbedingungen und die richtige Strategie zuständige Stadt mit allen Partnern wie Lemgo Marketing, die sich primär um den Einzelhandel kümmern, fruchtvoll zusammenarbeitet. Folgende Punkte gehören hier dazu:
- Altstadtlust – das Wohnen, Arbeiten, Handeln/Einkaufen und Leben im Kern gleichermaßen fördern / siehe Mittelstraße, Hansecenter, Förderprogramm Einzelhandel, Ansiedlung CTS-Reisen etc.
- Neues wagen – hochwertige Freiräume und Angebote gestalten / siehe Auenpark, Schuh- und Stiftstraße, Tweten, Wasserspender
- Erlebnisse schaffen – die Innenstadt ist die Bühne für ganz Lemgo / siehe Abteigartenfest, Sommertreff, Nacht der Kultur etc.
- Integriert denken – gezielt mit Programmen vorgehen und alle einbinden / siehe ISEK, Einzelhandelskonzept, Partnerschaft Stadt mit Lemgo Marketing etc.
Für alle Punkte findet man in Lemgo herausragende Beispiele der letzten Jahre. Der Rat hat in seinen Stadtzielen das Innenstadtziel jüngst als hervorzuhebenden Punkt bestätigt – wir werden parteiübergreifend nicht nachlassen, unsere Stadt lebendig zu erhalten und dabei alle genannten Aspekte berücksichtigen.“
Markus Baier sieht auch Potential beim Tourismus, verweist auf unsere älter werdende Gesellschaft und wiederholt: „Die Innenstädte sind in Wandel, auch in unserer starken Alten Hansestadt, und das Thema ist vielfältig. Um den Einzelhandel zu stärken, müssen wir auch sehen, wo wir entgegen der Demografie Kaufkraft gewinnen. Die Beschlüsse des Rates zum Campingplatz und die weitergehende Beschäftigung mit dem Thema Tourismus, die ich angeregt habe, sind ein wichtiger Baustein dazu. Lemgo hat die besten Voraussetzungen, um weiter vorne zu sein als Einkaufsstadt in der Region.“
Nach Erscheinen unseres Berichtes kam in den Sozialen Medien und über viele Zuschriften und Gespräche überdurchschnittlich häufig Kritik durch Händler, Gastronomen und Besuchern der Stadt an der Parkplatzsituation auf: zu wenig Parkplätze in Nähe der Geschäfte, diese dann zu teuer, die Zeit für die ‚Brötchentaste sei zu kurz. Bei dieser Kritik wird der Bürgermeister schmallippig. Mit gutem Zureden und ein wenig Hartnäckigkeit entlocken wir ihm schließlich doch noch eine Aussage: „Unsere Innenstadt ist mit ihrer prächtigen Historie so, wie sie ist. Die notwendigen hunderten Parkstände für das Einkaufserlebnis einer großen Fußgängerzone können nicht in den schmalen Straßen innerhalb des Walles geschaffen werden. Daher ist das Konzept mit großen Parkplätzen und –häusern direkt am Altstadtring immer noch aktuell. Zu den Details der Parkraumbewirtschaftung wird sich der Rat in diesem Jahr noch beschäftigen müssen.“
Carsten Steinmeier (Fraktionsvorsitzender und verkehrspolitischer Sprecher der CDU/Aufbruch-C Fraktion) verweist auf die herrschenden Mehrheitsverhältnisse im Rat, diese machten eine Umsetzung der CDU-Politik zur Zeit schwierig. Er nimmt wie folgt Stellung: „Nicht nur die Lemgoer Einkaufsstraßen, sondern alle Innenstädte unterliegen seit mehreren Jahren einem noch nicht abgeschlossenen Wandel. Das veränderte Einkaufsverhalten beeinflusst diese Entwicklung in besonderem Maße. Hier ist die Alte Hansestadt Lemgo mit Lemgo Marketing seit Jahren sehr gut aufgestellt und wird auch in Zukunft diesen Herausforderungen gerecht werden. Dies lässt sich Lemgo zurecht einiges kosten. Wir sind uns sicher, dass jeder Euro, den die Stadt hier investiert, gut angelegt ist. Auch wir werden uns in Zukunft für den Erhalt einer attraktiven und lebendigen Innenstadt einsetzen, wo man gut und gerne einkauft, sich gerne aufhält oder an kulturellen oder gastronomischen Angeboten teilnimmt.
Die historische Innenstadt wird das Herz unserer Stadt bleiben, sie wird aber nie wieder das reine Einkaufsviertel sein. Eine reine Konzentration darauf ist seit Jahren nicht mehr zeitgemäß, denn die Verlagerung des Einkaufes ins Internet findet seit Jahren bereits statt. Die Corona-Pandemie hat diesen Prozess noch zusätzlich beschleunigt. Hier ist es Aufgabe der Politik, gemeinsam mit den Geschäftsleuten, Eigentümern, den Inhabern und den Lemgoer Bürger, die Voraussetzungen für den Wandel zu schaffen und zu begleiten.
Lemgo Marketing ist in diesem Prozess ein wichtiger Akteur, aber auch die Politik muss die richtigen Entscheidungen treffen. Wenn die Innenstadt, nicht nur für Geschäfte, sondern auch für Wohnen, Gastronomie und kulturelle Angebote attraktiv sein soll, gehören ausreichend Parkplätze in unmittelbarer Nähe zwingend dazu.
Ob ein Bewohner der Mittelstraße ein Auto braucht, entscheidet er/sie immer noch selbst und wenn er oder sie der Meinung ist das ein oder auch zwei Fahrzeuge gebraucht werden, dann ist das ihr gutes Recht und nicht die Sache einer Partei die eine Verkehrswende erzwingen will, indem das Autofahren mit allen Mitteln unattraktiv gemacht wird. Verkehrspolitik muss immer alle Verkehrsmittel und Verkehrsteilnehmer im Blick haben und da gehört auch eine Fläche zum Abstellen der Fahrzeuge dazu. Eine noch so schöne Wohnung in der Innenstadt ist weniger attraktiv, wenn noch zwei Anwohnerparkplätze bei der Stadt Lemgo dazu bezahlt werden müssen, insbesondere wenn diese weit entfernt liegen. Gleiches gilt für die Einkaufs- oder gastronomischen Angebote, auch diese müssen gut und auch außerhalb der Stadtbusfahrzeiten für die Lemgoer Bürgerinnen und Bürger, aber auch für Gäste von außerhalb erreichbar sein.
Wir als CDU setzen uns seit Jahren dafür ein, dass es im historischen Stadtkern für Besucher, Anwohner und Arbeitnehmer ausreichend und bezahlbare Parkplätze gibt. Die derzeitigen Mehrheitsverhältnisse im Rat machen uns diese Politik leider im Moment nicht einfach. Die „Koalition“ aus Grünen, SPD und BfL richtet ihre ideologisch geprägte Verkehrspolitik leider allzu oft zu einseitig auf die Bedürfnisse der Rad- und Busfahrer aus. Wir werden dennoch nicht müde, unsere Argumente im Interesse von Anwohnern, Besuchern, Inhabern, Geschäftsleuten, Pächtern und Arbeitnehmern vorzubringen.“
Frau Schiek-Hübenthal von der FDP Fraktion moniert die Subventionen (Förderprogramm) der Stadt und plädiert für eine attraktive und entspannte Erreichbarkeit der Innenstadt: „Der zunehmende Leerstand in der Innenstadt bereitet uns Sorge – er muss gestoppt werden.
1. Zum einen durch gute Erreichbarkeit der Innenstadt.
Das ist der Fall für Stadtbus, zu Fuß oder Fahrrad. Genauso brauchen wir aber auch günstiges und einfaches Parken für Besucher mit dem Auto: Es dürfen keine weiteren Parkplätze im Innenstadtbereich abgebaut werden. Besonders ältere oder gehbehinderte Mitbürger, aber auch Personen, die direkt ein oder zwei Zielgeschäfte ansteuern wollen, sind auf Parkplätze in „Zielgeschäftsnähe“ angewiesen. Theoretisch nutzbare Parkplätze (Langenbrücker Tor/Regenstor) sind nicht immer eine realistische Möglichkeit.Auch müssen Hemmschwellen fallen, überhaupt in die Innenstadt zu fahren, auch für kurze Erledigungen. Darum ist die FDP froh, dass mit auf ihre Initiative hin vor ca. 20 Jahren die Brötchentaste eingeführt wurde. Sie hat sich unbedingt bewährt. Daher muss sie bleiben und weiterentwickelt werden. Wir wollen beantragen, dass z.B. samstagsmorgens, Parken 2 Stunden kostenfrei ist. Auch der Stadtbus fährt samstags kostenlos – das wird für Besuche in der Innenstadt gut angenommen. Da wir für eine Gleichberechtigung aller Verkehrsträger sind, brauchen wir hier auch fürs Parken günstige Angebote. Auch für sonntags befürworten wir gebührenfreies Parken. Wir sind gegen eine weitere Einschränkung des Individualverkehrs aus ideologischen Gründen! Die Bürger wollen auch mit dem Auto in die Stadt fahren. Für Radfahrer brauchen wir in der Stadt mehr gesicherte Abstellmöglichkeiten.
2. Keine überzogenen Bau-, Denkmalschutz und Gestaltungsvorschriften!
Die Genehmigungsmöglichkeiten der städtischen Verwaltung müssen großzügig genutzt und Investitionen nicht durch überzogene Anforderungen an Städtebau, Denkmalschutz oder Sortiments- oder Branchenbeschränkungen erschwert oder gar verhindert werden. Z.B. durch Nutzung rückwärtiger Gebäudeteile hinter historischen Fassaden, Umbau oder Erweiterungen.
3. Keine Wettbewerbsverzerrung durch Mietsubventionen, Sortiments- oder Branchenbeschränkungen
Bürger und Kunden entscheiden letztlich, was sie in der Innenstadt „haben“ wollen. Zusätzliche städtische Mietzuschüsse verzerren den Wettbewerb und sind nicht fair gegenüber dem bestehenden Einzelhandel.
4. Strukturwandel begleiten
Der Einzelhandel verändert sich durch heutige Online-Möglichkeiten – wir müssen auch für Wohnen in der Innenstadt, Restaurant- und Dienstleistungsbetriebe Anreize schaffen. Es gibt gute Ansätze dafür bei der ehemaligen Sparkasse und Deutschen Bank am Ostertor und ehemals Solfen.
5. Konzept Innenstadt aufstellen – Gespräche mit neuem Geschäftsführer Lemgo Marketing führen“
Wolfgang Siewecke (Bürger für Lemgo, BfL) meint zur Parkplatzsituation: Die Parkplatzsituation für Besucher der Innenstadt befinde ich durchaus für gut. Parkplätze und ein Parkhaus können aus jeder Himmelsrichtung angefahren werden, der Parkplatz an der Regenstorstraße ist kostenlos.“ Seine Meinung zum Leerstand: „Problematisch finde ich den Leerstand in der Innenstadt, von dem Lemgo leider seit ca. einem Jahr stärker betroffen ist als in den Vorjahren. Insofern ist die Mittelstraße vielleicht für viele zu „langweilig“ geworden. Hierzu beigetragen hat sicher das geänderte Einkaufsverhalten der Menschen, die sich lieber Artikel nach Hause senden lassen. Insofern müssen wir uns von den Filialen der großen Ketten wohl verabschieden. Trotzdem ist die Stadt Lemgo zusammen mit Politik und Lemgo-Marketing sehr bemüht, Lösungen zu finden, was auch z.B. über Wirtschaftsförderungsprogramme in vielen Fällen zu Erfolgen geführt hat. Die Zukunft wird allerdings anders sein. Andere Konzepte und andere Akteure werden als weitere Bausteine zukünftig gefragt sein, um die verloren gegangene Qualität nach Lemgo zurückzuholen. Dies wird nur funktionieren, wenn die Besitzer der Immobilien in der Innenstadt aber auch ihre Einwohner eingebunden werden. Hierfür sollten unter anderem informelle Formate wie z.B. der „Runde Tisch“ genutzt werden. Ein guter Anfang ist z.B. das neue Geschäft in der Mittelstraße „Komplizen der Region“(regionaler Nahversorger und Produktplattform, Anmerkung der Red.). Solche Geschäfte machen eine Einkaufsstraße interessant. Wenn dann noch die Hauseigentümer die oft überhöhte Erwartungshaltung für ihre Pacht- und Mieteinnahmen mindern, ist mir nicht bange um die zukünftige Innenstadtentwicklung von Lemgo.“
Dr. Pohl vom Bündnis 90/Die Grünen verteidigt die bestehenden Parkregelungen: „Wir haben in Lemgos City zahlenmäßig kein Parkproblem und genug Parkflächen in der Innenstadt. Mit der sog. Brötchentaste ist das Kurzzeitparken sogar gratis, der Stadtbus fährt samstags ebenfalls gratis. Die Radverbindungen in die Stadt sind gut und werden weiter verbessert. Klar ist: Mit den Großparkplätzen der Supermärkte kann man in einer gewachsenen historischen Innenstadt nicht konkurrieren, deshalb muss das Zentrum mit den eigenen Qualitäten punkten.“ Er hebt unter anderem die gelungenen Stadtfeste und die Stärkung der Gastronomie hervor: „In den letzten Jahren haben wir vieles richtig gemacht, Stichwort Gastronomie am Markt. Politik und Verwaltung hatten dafür gesorgt, dass nicht noch mehr Märkte auf der grünen Wiese entstehen. Onlinehandel und Großmärkte sind aber eine ungleiche Konkurrenz. Durch die Onlinegiganten nimmt die Bindung der Kundschaft an den lokalen Handel ab, die aktuelle Krisenstimmung drückt ebenfalls das Kaufverhalten. Deshalb muss sich auch die Innenstadt verändern. Wir müssen uns alle zusammensetzen, um die City als Erlebnis attraktiv zu machen – übrigens auch fürs Wohnen, denn Anwohner sind ebenfalls Kunden. Die Verbesserung der Aufenthaltsqualität ist da ein erster Schritt. Die vollen Sommerevents zeigen, wie gern Menschen nach wie vor in die Innenstadt kommen. Dies ist auch eine Herausforderung an die neue Spitze von Lemgo Marketing. Eine Idee ist es, bewusst die regionalen Marken und Betriebe zu stärken, wie es die ‚Komplizen der Region‘ (regionaler Nahversorger und Produktplattform, Anmerkung der Red.) versuchen. Da geht es um Identifikation, Image und Qualität.“
Die SPD um Fraktionsführer Alexander Baer antwortete nicht gezielt auf unsere Anfrage. Sie verweist auf die Pressemitteilung vom Montag und auf einen Social Media Post, in welchem sie sich als ‚Kämpfer für die Innenstadt‘ bezeichnet und ‚einen Runden Tisch einfordert‘ in diesem Jahr (welcher in Form des ISEK, siehe Punkt 7 der Konzeptliste Verwaltung oben auch schon geplant ist, Anmerkung der Redaktion). Wir zitieren aus dem Post der SPD: „Wenn niemand für unsere Innenstadt kämpft, übernehmen wir die Initiative. Die aktuellen Herausforderungen in der Lemgoer Innenstadt erfordern schnelles und entschiedenes Handeln. Als SPD-Fraktion haben wir uns bereits vergangenes Jahr als erste diesem Thema angenommen. Deshalb haben wir einen Antrag eingebracht und für ein Förderprogramm geworben, um Leerstände zu bekämpfen und die Attraktivität unserer Innenstadt zu erhöhen. Das freudige Ergebnis: Insgesamt 65.000 Euro pro Jahr stehen bis 2025 zur Verfügung. Von dem Geld werden Geschäftsgründer unterstützt, um ihnen den Start in unserer Innenstadt zu erleichtern. Enttäuschend ist, dass außer von uns kaum Initiative zu dieser für Lemgo so wichtigen Sache kommt. Hier brauchen wir entschieden mehr Vision und Tatendrang. Diese Rolle haben bisher nur wir von der SPD im Rat übernommen. Wir wollen innovative Konzepte und Handlungsstrategien entwickeln und so den Strukturwandel der Lemgoer Innenstadt bewältigen. Deshalb fordern wir als nächsten Schritt die Bildung eines „Runden Tisches“, um gemeinsam mit allen Akteuren innovative Lösungen zu entwickeln. Handel, Gastronomie, Kultur und Bürgerinnen und Bürger müssen an einen Tisch gebracht werden. Nur so lässt sich ein Konzept entwickeln, um die Lemgoer Innenstadt gemeinsam fit für die Zukunft zu machen. Wir sind fest entschlossen, Lemgo als einen lebendigen und einladenden Ort für alle zu erhalten.“ Eine Stellungnahme zur Parkplatzkritik lieferte die SPD dann in letzter Sekunde auch noch nach: „Die Parksituation stellt sich in Lemgo im lippischen Vergleich als gut dar. Parkhaus, Parkpalette und Parkplätze sind kostengünstig vorhanden, der Regenstorplatz stellt sogar eine kostenlose Parkmöglichkeit dar. Zwar ist mir bewusst, dass all diese Parkmöglichkeiten noch einige hundert Meter außerhalb der Fußgängerzone liegen. Dafür hält beispielsweise der Stadtbus am Waisenhausplatz und somit direkt vor dem Marktplatz. Und samstags ist die Fahrt sogar kostenlos“, so Alexander Baer.
In der nächsten Folge lassen wir Immobilienbesitzer, Makler und eine Unternehmensberatung zum Thema ‚Zukunft der Innenstadt – Krise oder Chance‘ zu Wort kommen. Dann folgt ein Bericht mit den Konzepten von Lemgo Marketing (u. a. mit Wolfgang Jäger und dem künftigen Geschäftsführer Christoph Vieregge), Händlern, Gastronomen und Gewerbetreibenden. Den Abschluss unserer Reihe bildet eine Umfrage an die Lemgoer Bürger, hierfür freuen wir uns auch jetzt schon auf ihre Meinung unter redaktion@mein-lemgo.de.
Kommentar
Keine einfache Lage, aus der sich Immobilienbesitzer, Händler, Gastronomen, Gewerbetreibende, Politik, Verwaltung und vor allem die Lemgoer Bürger selbst befreien müssen. Auch wenn die Situation teils noch schön geredet wird, die meisten Beteiligten haben den Ernst der Lage erfasst. Die klare Benennung der Missstände ist Voraussetzung, um gezielt gemeinsam Konzepte für eine lebenswerte Innenstadt zu erarbeiten und umzusetzen. Und zwar so schnell wie möglich.
Die Verwaltung und der Bürgermeister haben klare Vorstellungen. Viele Maßnahmen machen Sinn, andere (z.B. das Programm zur Innenstadtförderung) nur dann, wenn Sie realitätsnah und durchdacht eingesetzt werden und ohne dem bereits bestehenden Gewerbe zu schaden. Die Hinwendung zum Tourismus ist sicher eine große Chance, ebenso die Unterstützung junger Familien bei der dauerhaften Ansiedlung hier in Lemgo (siehe diese Bürgeranregung) um dem demografischen Wandel etwas entgegen zu setzen. Der Bürgermeister hat im Gespräch deutlich klar gemacht, dass die Einflussmöglichkeiten und auch die Zuständigkeiten der Stadt Lemgo begrenzt sind – alle oben angeführten Beteiligten stehen nun in der Pflicht. Ideal wäre es, wenn die Bürger Lemgos den künftigen Wandel der Innenstadt aus Überzeugung aktiv begleiten, statt ihn – wenn auch vielleicht nur gefühlt – verordnet zu bekommen. Hier sehen wir Politik und Verwaltung beim Vermitteln transparenter Entscheidungsprozesse deutlich in der Pflicht.
Unsere Vorschläge an Stadt und Politik: Die Attraktivität des Wochenmarkt kann sicherlich noch gesteigert werden. Regeln (Parken, Liefern, Geschwindigkeit, Zeiten) zur Nutzung der Innenstadtstraßen (Mittelstraße, Breite Straße und Schuhstraße beispielsweise) müssen gegebenenfalls angepasst/liberalisiert und deren Einhaltung dann auch durchgesetzt werden. Die Breite Straße könnte ein wenig mehr Aufmerksamkeit vertragen, und die lange angedachte Verbindung vom Campus zur City sollte auch nicht nur auf dem Reißbrett bestehen, sondern mit Leben erfüllt und praxisnah gestaltet werden.
Die Politik ist sich einig, dass ein Strukturwandel unumgänglich ist, jede Partei setzt dabei naturgemäß ihre ureigensten Schwerpunkte. Künftig sollten Entscheidungen des Rats zur ‚lebenswerten Innenstadt‘ trotzdem pragmatisch in der Sache und wenig ideologisch geprägt sein. Von allen Seiten.
Wir Bürger müssen unser Anspruchsdenken hinterfragen. Ein paar Schritte mehr zu Fuß, den Stadtbus regelmäßig nutzen, ein wenig Verständnis für den Verkehrspartner auf dem Rad, im Auto, den Busfahrer oder vom Jogger auf dem Wall machen das Leben und den Besuch der Stadt für alle entspannter. Aktiv die Politik mitgestalten, sei es direkt in der Partei, durch den Besuch von Ausschusssitzungen oder das Stellen von Bürgeranträgen schafft neue Blickwinkel (und erspart die Opferrolle). Die bereits vorhandenen Angebote der Händler und Gastronomen annehmen. Konstruktiv kritisieren, aber nicht ständig wehklagen oder nölen.
Vorschläge, Konzepte und Bereitschaft zu deren Umsetzung scheinen vorhanden. Nun müssen Taten folgen. Die Zeit für Diskussionen, Symbolpolitik und Zukunftsträume ist abgelaufen. Oder wie Helmut Schmidt schon sagte: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“
Michael Pitt