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Interview mit Prof. Dr. Josef Löffl: Nachhaltigkeit und Mobilität im Wandel der Zeit

Interview mit unserem Gast Autor Paul Kiesow im Rahmen des 201. jugend presse kongress

Das vermutlich wichtigste Thema unserer Zeit ist die Nachhaltigkeit. Sie entscheidet nicht nur darüber, ob wir unseren Lebensstil als Individuen und als Gesellschaft auch in Zukunft aufrechterhalten können, sondern vielmehr, ob die Erde uns noch lebenserhaltende Ressourcen zur Verfügung stellen kann. Nachhaltigkeit bedeutet dabei mehr als nur Umweltschutz – sie beruht auf drei Säulen: ökologischem Handeln, langfristigem Wirtschaften und sozialem Miteinander. Denn Nachhaltigkeit beschreibt ein weitsichtiges, vorausschauendes und verantwortungsvolles Ressourcenmanagement.

Die Frage nach gelingender Nachhaltigkeit und Mobilität war auch Thema des 201. jugend presse kongress. Dieser wurde von der young leaders GmbH ausgerichtet und durch das Bundesministerium für Verkehr gefördert.
Hier kamen engagierte Jugendliche aus ganz Deutschland zusammen, um über die Themen des Zeitgeschehens zu diskutieren. Einen der Impulsvorträge hielt Prof. Dr. Josef Löffl, Leiter des Instituts für Wissenschaftsdialog an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe.

Prof. Dr. Josef Löffl studierte Geschichte, Klassische Archäologie und Lateinische Philologie an der Universität Regensburg, wo er 2010 promovierte, und arbeitete dort zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Anschließend sammelte er vielfältige Erfahrungen in der Wirtschaft – unter anderem als Top-Management-Consultant, Projektleiter. Außerdem erhielt er den Preis für herausragende Lehre der Bayerischen Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst. Außerdem war er an der Entstehung von „Anno 1578“, einem Begegnungsort in Lemgo zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, welchen die Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe eröffnet hat, beteiligt.

Nach dem Kongress ergab sich folgendes Interview zum Thema Nachhaltigkeit und Mobilität.

Herr Dr. Löffl, Sie beschäftigen sich in Ihrer Arbeit auch mit dem Untergang von hoch entwickelten Gesellschaften. Meinen Sie, dass die Klimakrise zum Kollaps der menschlichen Zivilisation führen kann?
Da muss man immer etwas vorsichtig sein. Man muss zwei Dinge vorausschicken: Erstens, ich bin kein Klimaforscher. Das heißt, ich habe weder die Fähigkeit Klimamodelle zu berechnen noch sie zu erstellen. Das Zweite ist, dass niemand die Zukunft vorhersagen kann, egal, welche Möglichkeiten sie haben. Es gibt immer den Schmetterlingseffekt, wir können nie sagen, was kommt. Wenn man sich jetzt die Vergangenheit anschaut, dann habe ich durchaus den Eindruck, dass Naturereignisse in der Lage sind, Gesellschaftsformen massiv zu beeinflussen. Oftmals ist es so, dass die Gesellschaft bestimmte Rahmenbedingungen anlegt und dann kommt der Faktor Natur dazu und dann explodiert das Ganze.

Ich bin zwar Althistoriker, aber ich würde jetzt mal ein Beispiel aus der frühen Neuzeit geben. Wenn wir heute über Demokratie reden, dann reden wir oftmals über die Französische Revolution. Wir wissen, dass z.B. die Missernten, an deren Ende die Französische Revolution stand, offenbar mit einem Vulkanausbruch in Verbindung standen.

Wissen Sie, auf der einen Seite stehen dann neue Ideen, wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und auf der anderen Seite bricht irgendwo ein Vulkan aus. Auf den ersten Blick gibt es keinen Zusammenhang, aber dann braut sich so eine Art von perfekter Sturm zusammen. Hinterher legen wir immer einen roten Faden an. Hinterher sagen wir immer: Das war Feudalismus, abgehobene Aristokratie, darum steht das Volk auf. Ich habe das Gefühl, dass wir den Faktor Natur bei diesen Ereignissen der Vergangenheit oftmals viel zu stark ausblenden. Dass wir dem Menschen eine viel zu starke Rolle zuschreiben und letztendlich diese Rahmenbedingungen, die wirklich die eigentlichen Determinanten sind, unterschätzen.


Um die Katastrophe des Klimawandels einzudämmen, gibt es globale Ziele zur Erreichung einer nachhaltigeren Welt, die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen. Diese Ziele beruhen auf dem Grundprinzip der Nachhaltigkeit: Dass man nur so viel verbraucht, wie man produziert. Der Earth Overshoot Day (Tag, an dem alle in einem Jahr natürlich von der Erde produzierten Ressourcen aufgebraucht sind) am 24.07.2025 zeigt daher, dass die Menschheit nicht nach diesem Prinzip handelt. Wie gelingt die Einhaltung dieses Prinzips?

Die Frage ist: Ist es uns denn jemals gelungen, also auch in der Vergangenheit? Das ist sehr schwer zu ermessen, weil wir keine exakten Zahlen für Gesellschaftsformen z.B. in der Steinzeit haben. Sie können z.B. nicht sagen: Waren denn alle Gesellschaftsformen global, etwa in der späten Steinzeit, nachhaltig.

Es gibt offenbar Lebensformen des Menschen, die einen stärkeren, nachhaltigen Charakter haben, wie die Lebensform als Wildbeuter, Jäger und Sammler. Wir sehen aber auch, ich kann das vor allem für die Antike sagen, massiven Raubbau im Kontext Forst, also Entwaldung, wegen z.B. Schiffsbau oder eine Überweidung von Grünlandflächen durch extensive Weidewirtschaft. Wenn Sie sich die Iberische Halbinsel anschauen, sieht man massive Ausbeutung von Bodenschätzen mit weitreichenden Umweltschäden etwa mit Blick auf die Gewinnung von Blei. Und das sind alles Gesellschaftsformen, die alle weit vor der Erfindung der Dampfmaschine agieren, weit vor den Zielen der Automatisierung, Industrialisierung und dergleichen, und trotzdem sehen wir dort schon Phänomene. Ich würde vermuten, dass es letztendlich, wenn wir uns das Wirken des Menschen als eine Uhr mit einem Zeiger vorstellen, dass von dieser Umrundung, 360 Grad, nur 1,2,3,4 Grad des Weges des Menschen als Homo sapiens nachhaltig waren. Ich
würde behaupten, dass er es größtenteils eben nicht war. Aber in anderen Dimensionen.
Man konnte nicht so viel Schaden anrichten, weil man einfach gar nicht die technischen Möglichkeiten hatte. Es ist ein Unterschied, ob ich jetzt mit einer Schaufel agiere oder mit einem Schaufelradbagger. Was ich für falsch halten würde, ist so ein Schwarz-Weiß-Bild, nach dem Motto: Also vor der Industrialisierung waren wir alle nachhaltig und hinterher kam der böse Mensch und fing dann erst an, die Natur auszubeuten. Dem ist nicht so. Der Mensch war schon sehr oft jenseits der Gesetzmäßigkeiten der Nachhaltigkeit unterwegs.


Jetzt haben wir uns den Bereich der Nachhaltigkeit in der Vergangenheit angeschaut.
Was hat Nachhaltigkeit mit der Zukunft zu tun?

Ja, ich denke, dass sie zu einer existenziellen Voraussetzung wird, vor allem auch im Denken und Handeln der Menschen. Und zwar aufgrund der Rahmenbedingungen einer Welt, die globalisiert ist und eine Revolution erfährt wie nie zuvor, nämlich die digitale Revolution, wahrscheinlich die größte Revolution seit der Sesshaftwerdung des Menschen. Und ich glaube, dass man ein Ziel oder ein Leitprinzip braucht. Weil wir ansonsten natürlich diese Schere zwischen Arm und Reich, zwischen wohlhabend und nicht wohlhabend immer weiterwachsen lassen. Und wir sehen ja bereits die ersten Auswirkungen davon. Wenn wir beide jetzt in einer Gesellschaftsform aufwachsen würden, in der es klar ist, dass unser ganzes Leben lang von Armut geprägt sein wird, und sehen dann z.B. über soziale Medien, dass es ein paar tausend Kilometer Luftlinie entfernt, quasi schlaraffenlandähnliche Zustände, aus unserer Wahrnehmung, gibt. Na ja, dann würden Sie, genauso wie ich auch, wenn Sie nichts zu verlieren haben, ins Schlauchboot steigen.

Also wir wissen doch alle schon seit Jahrzehnten, dass wir so nicht weitermachen können, dass wir letztendlich mit Prinzipien aus dem 19. Jahrhundert agieren. Dass wir uns eigentlich überlegen müssen, wie schauen denn die Leitmotive und die Leitprinzipien der Zukunft aus? Wir blicken da immer zurück. Wir blicken auf Systeme wie Kapitalismus, Sozialismus, Kommunismus. Eigentlich müssen wir uns die Frage stellen: What’s next?
Also was ist die nächste große Idee für so eine komplexe und komplizierte Welt? Warum wagen wir es nicht, diese Rahmenbedingungen zu durchdenken und zu sagen: Na ja, wir müssen anders agieren. Es bräuchte schon eine Idee, tatsächlich auf der Ebene wie Kommunismus, Sozialismus, Kapitalismus, die so weit trägt, dass sie letztendlich das Fundament bilden kann für weitreichende zukünftige Überlegungen.

Sie erwähnten jetzt bei Nachhaltigkeit die Säulen Soziales & Ökonomisches. Um nochmal auf die erste Säule der Nachhaltigkeit, die Ökologie, zurückzukommen: Welche Maßnahmen braucht es denn für einen gelingenden Klimaschutz aus Ihrer Sicht?

Das ist so eine Frage wie: Wie glauben Sie, kann man den Weltfrieden konstruieren? Ich mach das jetzt mal ein bisschen naiv. Stellen Sie sich etwas vor, wie z.B. bei Star Trek, da gibt es eine Konföderation, eine Art von Weltraumregierung. Und ich glaube, dass einfach ein zentraler Schritt darin besteht, auch wenn es naiv ist, dass wir analog zu diesen Gedanken uns die Frage stellen: Wie bekommen wir es eigentlich hin, dass wir uns zumindest in gewissen Bereichen als Weltgesellschaft identifizieren?
Ich glaube, dass es wichtig ist, das Bewusstsein zu generieren, dass wir alle im gleichen Boot sitzen, ob wir uns jetzt in Shenzhen befinden oder in Brasilia oder in New York oder in Bielefeld. Wir sitzen alle im gleichen Boot und haben nur diese eine Chance. Für einen gelingenden Klimaschutz muss dringend auch der Verkehrssektor angegangen werden. Um die Zukunft besser vorherzuahnen, werfen Sie auch gerne
einen Blick in die Vergangenheit. Wie hat sich die Mobilität im Laufe der Menschheitsgeschichte verändert und wie sieht die Zukunft der Mobilität aus?

Die Mobilität ist natürlich von gewissen Entwicklungsschritten abhängig, wie z.B. der Erfindung des Rades. Aber der entscheidende Schritt in der Mobilität des Menschen, bis ins 19. Jahrhundert hinein, ist die Nutzbarmachung von Flüssen und von Meeren, weil das Wasser immer der einfachste und der effektivste Transportweg war. Also überlegen Sie mal, wie viel Sie auf einem großen Lastkahn transportieren können und wie viel auf einem Ochsenkarren.

Die nächsten großen Entwicklungsschritte kamen dann mit der industriellen Revolution und das ist die Eisenbahn. Die Bahn spielt bis heute eine wichtige Rolle in der Mobilität und mit dem 20. Jahrhundert natürlich auch der Luftverkehr.
Die grundsätzliche Frage der Mobilität besteht für mich nicht mehr darin, sich Gedanken darüber zu machen: Was ist das nächste Mobilitätsmittel? Werden wir morgen, was physikalisch wahrscheinlich unmöglich ist, von Ort A zu Ort B beamen? Sondern die eigentliche Frage für mich ist: In einer Welt, die auf der Schwelle zum Metaversum steht, welche Art von Mobilität brauchen wir denn zukünftig noch, wenn wir uns sowieso global in jeglicher Art und Weise austauschen können? Wenn wir, was die Technologie anbelangt, vermuten können, dass wir in wenigen Jahren, vielleicht in einem Jahrzehnt, im Metaversum urlauben und am digitalen Strand von Bali liegen. Fühlen, merken, riechen aber keinen Unterschied mehr. Ich glaube, dass dies jetzt auf den ersten Blick befremdlich wirkt, denn wenn Sie heute eine VR-Brille aufsetzen, dann wird Ihnen nach ein paar Minuten schwindelig. Überlegen Sie aber, was es mit der Geschwindigkeit der Technologie auf sich hat. Da würde ich immer wieder behaupten, es ist nur eine Frage der Zeit. Ich weiß natürlich, dass man Mobilität optimieren will, hochentwickelte Hochgeschwindigkeitszüge, das ist auch alles richtig. Trotzdem würde ich mir die Frage stellen: Was brauchen wir denn zukünftig noch, wenn wir uns eigentlich gar nicht mehr fortbewegen müssten?

Das klingt sehr futuristisch. Sie sprechen hier von neuen, innovativen Technologien. Eine weitere Maßnahme zur Erreichung der SDGs und zur Bekämpfung des Klimawandels könnten auch innovative Technologien sein. Bei der Einführung von diesen Technologien wurde lange Zeit nicht auf das Thema Nachhaltigkeit geachtet.
Wie kann man dafür sorgen, dass neue Technologien ökologisch, ökonomisch und auch sozial sind?

Ich weiß es nicht, weil es eine sehr, sehr tiefgehende Frage ist. Ich glaube, dass man bei einer neuen Technologie auch als Schöpfer dieser Technologie nicht immer vollumfänglich beurteilen kann, wie und in welcher Art und Weise diese Technologie genutzt wird. Denken Sie an Alfred Nobel. Er hat das Dynamit erfunden mit dem Ziel den Bergbau sicherer zu machen. Nicht mit dem Ziel, dass sich auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges hunderttausende von jungen Männern in die Luft jagen. Also nicht mal der Schöpfer einer Technologie kann genau sagen, wie sie zur Anwendung gebraucht wird, im Guten wie im Schlechten. Meines Erachtens, kann man diese Frage daher nicht beantworten, der Mensch ist kein rationales Wesen. Wer hätte schon gedacht, dass Spielzeugdrohnen dazu genutzt würden, um Panzergranaten zu transportieren.


Nun haben wir uns die Frage nach nachhaltigen Technologien gestellt. Was würden Sie sagen, wie insgesamt mehr Nachhaltigkeit gelingt?

Wenn die Menschen in ihrem Alltag verstehen, dass sie davon Nutzen haben. Wenn sie es nicht als eine Ideologie auffassen, sondern wenn sie für sich selbst verstehen, dass sie dadurch 1. Vorteile haben und 2. etwas für die Generation ihrer Kinder tun. Dass es darauf ankommt, dass jeder Einzelne für sich die Frage stellt: In welchem Kontext kann man denn agieren? Muss das denn jetzt wirklich sein? Ich persönlich bin kein Philosoph, aber für mich ist die Grundfrage in so einer Gesellschaftsform wie heute: Warum glauben viele Menschen denn immer noch, dass der Konsum ein Weg in einen glücklichen Gemütszustand ist? Und da rede ich nicht von Verboten, sondern davon, sich grundsätzlich die Frage zu stellen: Muss ich wirklich viermal im Jahr in den Urlaub fliegen?
Mache ich das wirklich für mich? Mache ich das, weil ich glaube, dass andere Menschen das von mir erwarten? Oder weil ich vor anderen Menschen gut dastehen will? Der Schlüssel für all diese Dinge ist das Selbstbewusstsein und die Freude am eigenen Denken zu entwickeln und dann nicht in diese Denkweise zu verfallen: Ich allein als ein Bruchteil von allem kann ja sowieso nichts bewirken. Man muss die Welt retten. Wenn jeder Einzelne im eigenen Habitat das eine oder andere verändert, dann fällt es letztendlich doch ins Gewicht.


Autor: Paul Kiesow

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Michael Pitt

Michael Pitt betreibt das Portal Mein-Lemgo im dritten Jahr. Er ist in Lemgo geboren und wohnt direkt am Marktplatz.
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