Lehre/Wissenschaft

Green Container:  Architektur der Zukunft aus dem Pflanzenbaustoff Rohrkolben

Professor Manfred Lux vom Fachbereich Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur hat während eines Forschungssemesters einen stabilen Werkstoff aus den Blättern des Rohrkolbens entwickelt. Diese Arbeit bildet die Grundlage für die Entwicklung eines nachhaltigen und vielseitig einsetzbaren „Green Container“, der in Zukunft entstehen soll.

In Deutschland werden jährlich 550 Millionen Tonnen Baustoff verbraucht und nur 10 bis 15 Prozent davon sind nachwachsende Rohstoffe. Dies will Professor Manfred Lux vom Fachbereich Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur ändern und hat einen Faserwerkstoff aus Rohrkolben (Typha latifolia) entwickelt, der nicht nur tragfähig und wetterbeständig ist, sondern auch hochdämmend. Er kann aus (schnell) nachwachsenden Rohstoffen gefertigt werden, die auch in Deutschland problemlos kultivierbar sind.

Die Faszination für Typha-Technologie hat der Architekt Professor Manfred Lux entwickelt als er von einem sehr geschätzten älteren Kollegen, Werner Theuerkorn, davon hörte: „Werner Theuerkorn ist ein Pionier auf dem Gebiet. Als er mir das Thema erläuterte, hatte er schon über 20 Jahre lang daran geforscht, wie aus dem Rohrkolben Baumaterial hergestellt werden kann“, so Manfred Lux. Seither beschäftigt sich der Professor mit dem Thema und als er 2015 seine Professur am Fachbereich Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur antrat, war ihm klar, dass er einen Faserverbundwerkstoff für Bauteile aus dieser Pflanze entwickeln möchte. Das ist ihm nun während eines Forschungssemesters gelungen.

Schmale, lange Blätter und ein hoher Stängel mit einer kolbenförmigen Blüte, die von vielen kleinen, gelben oder braunen Blüten umgeben ist. Das charakteristische Aussehen des Rohrkolbens, der in Feuchtgebieten, wie zum Beispiel Seen, Flüssen, Teichen und Mooren sprießt, lässt Laien nicht unbedingt an Baustoffe denken. Und doch eignet sich diese Pflanze, die überall auf der Welt in gemäßigten Klimazonen wachsen kann, hervorragend zur Herstellung von stabilem Baumaterial. „Insbesondere die unfruchtbare Typha eignet sich gut, da sie mehr Schwammgewebe hat. Wenn wir das Blatt aufschneiden, dann sehen wir Fasern horizontal und vertikal. Das ist schon fast ein Ingenieurtragwerk“, erkennt Manfred Lux. Das enthaltene Schwammgewebe hat viele Luftporen. Da Luft ein schlechter Wärmeleiter ist, hat das Material dämmende Eigenschaften. Das sind nur einige Aspekte, die den Rohrkolben zu einem optimalen Baumaterial machen. Für Manfred Lux steht aber der Aspekt der Nachhaltigkeit im Vordergrund. Im Studiengang Architektur am Fachbereich Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur unterrichtet er auch das Fach „Nachhaltiges Konstruieren“. „Meine Motivation in der Architektur und der Lehre ist immer nachhaltiger Natur. Das ist das höchste Gebot für mich“, betont er. „Gebäude sollen nachhaltig, funktional und natürlich auch schön sein.“

Rohrkolben: Weltbürger und Klimaheld

Aber warum ist Baustoff aus Rohrkolben so viel umweltfreundlicher als herkömmliche Baustoffe wie Beton? „Das fängt schon bei der Landschaftsökologie an“, holt Manfred Lux aus. „Bei Rohrkolben ist es so, dass er schon beim Wachstum landschaftsökologische Vorteile hat, indem er Wasser bindet und Wasser reinigt. Überall, wo es Wasser gibt und Rohrkolben wächst, wird Wasser gereinigt“, fügt er hinzu. Generell wird durch Pflanzenwachstum CO2 gespeichert und Sauerstoff produziert. Die Herstellung von Zement und Ziegeln hingegen verschleudert CO2 und verbraucht riesige Mengen Energie. Rohrkolben ist zudem eine äußerst anspruchslose Pflanze und kann dementsprechend überall auf der Welt wachsen, wo das Klima einigermaßen gemäßigt ist und es feuchte Flächen gibt.

Der Forscherdrang hat Manfred Lux schon um die halbe Welt geschickt: „Ich war in den neuen Niedermooren in Mecklenburg-Vorpommern, im Donau Delta in Rumänien und an der Mündung vom Senegal River in Westafrika. Besonders dort wuchert Rohrkolben als Plage. Allerdings ist dort das Wasser sauber!“ Niedermoore gehörten einst auch in Deutschland zum gewohnten Landschaftsbild, bis sie durch die Landwirtschaft trockengelegt wurden. Erst seit Kurzem gibt es Projekte in Niedersachsen, Bayern und Mecklenburg-Vorpommern, in denen Flächen wieder „vernässt“ werden. „Dort kann Rohrkolben gedeihen und damit ist das ein regional vorkommender Baustoff“, betont Manfred Lux. Nun seien die Botanikerinnen und Botaniker dran, die Pflanzen durch Zucht zu optimieren, um den Ertrag zu steigern. Ein wirtschaftlich relevantes Anbauvolumen von Rohrkolben sei schon heute mehr oder weniger gesichert, so Manfred Lux: Es gibt bei Rohrkolben größere Ernteerträge als beispielsweise beim Holz. Was die Masse betrifft, wächst Rohrkolben drei Mal so schnell wie Holz.“

Schneiden, kleben, pressen

Zur Herstellung eignen sich insbesondere die unfruchtbaren Typhapflanzen, da sie mehr Schwammgewebe haben. Die Blätter werden der Länge nach mit einer einfachen Maschine zu kleineren, etwa drei Millimeter breiten, Blättern gespalten. In einem weiteren Schritt werden die Blätter mit Dextrin oder anderen neuentwickelten Bindemitteln beleimt, in Schalungen gegeben und gepresst. Dextrin ist ein organischer Klebstoff, den Manfred Lux selbst aus Traubenzucker und Glycerin gekocht hat. Einige Proben hat Lux auch mit Ton und Stärke verklebt, aber keiner hält so gut wie Dextrin, das zusätzlich noch nachhaltig ist. Das Ziel bei der Herstellung sei es, den Baustoff so leicht und gleichzeitig so stabil wie möglich zu gestalten. „Das gucke ich mir bei der Natur ab. Sie gibt es vor und in diese Richtung geht die Reise“, sagt Lux.

Der entstandene Balken ist tragfähig. Dies hat Manfred Lux zunächst in einem kleinen Selbstversuch festgestellt, bei welchem er den Balken an den Enden auf zwei Bierbänke gelegt hat und über den Balken balanciert ist. Das Ergebnis: Es ist überhaupt keine Krümmung bzw. Durchbiegung festzustellen. Die Tragfähigkeit muss selbstverständlich mit wissenschaftlichen Methoden geprüft werden, aber Lux ist sich sicher, dass so ein Balken die Grundlage beispielsweise für ein Tiny House sein kann.

Der Typha-Balken hat eine Rohdichte von gerade mal 102 Kilogramm pro Kubikmeter. Zum Vergleich: Fichtenholz, welches schon als leichtes Holz gilt, hat 400 Kilogramm pro Kubikmeter. Bei Beton wiegt ein Kubikmeter schon 2,5 Tonnen. „Meine Forschung hat bewiesen, dass wir Bauteile herstellen können, die zugleich tragen und dämmen. Und das aus nachwachsenden Rohstoffen“, freut sich Manfred Lux.

Nachhaltiges Bauen mit dem „Green Container“

Die Entwicklung des Baustoffes soll kein Selbstzweck sein. Manfred Lux‘ Ziel ist ein „Green Container“, der vollständig aus dem Typha-Material besteht, stabil ist, sich leicht auf- und abbauen lässt und so viele verschiedene Anwendungsmöglichkeiten bietet. Konkret stellt sich der Architekt rahmenartige Bauelemente vor, die zusammengesteckt einen Container ergeben. „Das ergibt ein Raum umschließendes Tragwerk, das zugleich gedämmt ist“, erklärt er. So ließe sich leicht ein Tiny House bauen oder ein ganzes Einfamilienhaus, wenn man mehrere Container anordnet. In Serie produziert, eignet sich der Green Container auch als Massenunterkunft. Die Fluchtbewegungen aufgrund vergangener Kriege und Naturkatastrophen wie die im Ahrtal haben gezeigt, dass wir Massenunterkünfte brauchen. Dreißig der einfach herstellbaren Green Container würden schon 120 Menschen Schutz vor Wind und Wetter bieten, teilt die TH OWL im Pressetext mit.

Gemeinsam mit Forschenden der Universität Greifswald wird Manfred Lux den Green Container bauen und nach wissenschaftlichen Standards prüfen. „Stoffkennwerte wie Druckfestigkeit, Zugfestigkeit, Biegefestigkeit, Brandverhalten müssen dann streng geprüft werden.“ Für den Bau eines Containers benötigt man schätzungsweise 50 Kubikmeter Rohrkolben, 200 Stunden Arbeitsaufwand, Schalung für die Rahmen, Raum zur Lagerung, Raum für die fertigen Rahmen und Transportgeräte. Vergleichsweise wenig für ein so vielversprechendes Produkt.

Bis zum flächendeckenden Einsatz des nachhaltigen Baustoffes ist es noch ein weiter Weg, aber er ist ein vielversprechender Ansatz für die Architektur und könnte in Zukunft vielen Menschen ein Dach über dem Kopf bieten und gleichzeitig Ressourcen schonen und die Umwelt schützen.

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