Graf Simon VI. zur Lippe als fürstlicher Unternehmer
Die jüngste Publikation des Weserrenaissance-Museums Schloss Brake präsentiert eine bisher unbekannte Seite des bedeutenden lippischen Renaissanceherrschers
Hochöfen, Eisen- und Stahlhammerwerke, Eisen- und Kohlebergwerke in Lippe? Lippische Bergwerke
im Erzgebirge und im Sauerland? Modernste Salzwerke vor den Toren Salzuflens? Eine renaissancezeitliche Glashütte? All das hat existiert und geht auf den Willen einer Person zurück, Graf Simon VI. zur Lippe (1554–1613).
Das Weserrenaissance-Museum Schloss Brake bemüht sich seit Langem, die außergewöhnliche
Person und das Wirken dieses Renaissanceherrschers einem breiten Publikum nahezubringen. So ist
Simon VI. mittlerweile bekannt als eine Person von europäischem Rang und als bedeutender
Landesherr, als Diplomat, Politiker, kaiserlicher Kunstagent, Bauherr und an Wissenschaften und
Künsten interessierter Renaissancemensch (Abb. 1). Die jüngste Publikation des Museums fügt
diesem Bild eine bedeutende, bisher kaum beachtete Facette hinzu, indem sie erstmals den homo
oeconomicus ins Blickfeld nimmt. Die Monographie „Simon VI. als fürstlicher Unternehmer“ stellt auf
239 Seiten eine ungewöhnliche geschichtliche Erscheinung vor, den fürstlichen Unternehmer, den es
so nur in der Renaissance gegeben hat. Obwohl er ein adeliger Landesherr war, handelt Simon VI. mit
Salz wie ein bürgerlicher Kaufmann, betreibt Berg- und Hüttenwerke, lässt Salz sieden und Glas
blasen. Kein Geschäftsdetail ist ihm zu nichtig, um sich ihm nicht persönlich zuzuwenden.
Zu den Orten und Landschaften, die von den Unternehmungen Simons VI. berührt wurden, gehören
in Lippe der Teutoburger Wald bei Berlebeck (Eisenbergwerke); Oerlinghausen und Heesten
(Kohlebergwerke); Rischenau, Wörderfeld, Falkenhagen und Elbrinxen (Eisengruben); Elbrinxen,
Berlebeck und Schieder (Hochöfen, Poch-, Eisen- und Stahlhammerwerke, Eisengusswerke); Salzuflen
und Loose (Salzwerke); Salzuflen-Wüsten (Brennholzgewinnung); Berlebeck (Glashütte). Außerhalb
Lippes ließ Simon VI. Bergwerke im Freiberger Revier und bei Annaberg im Kurfürstentum Sachsen
und im Kurkölnischen Sauerland bei Bestwig-Andreasberg und bei Winterberg-Grönebach betreiben.
Sein Salzufler Salz ist von Fuhrleuten bis Frankfurt am Main transportiert und dort gegen Wein
eingetauscht worden.
Simons VI. unternehmerisches Handeln ist auffällig wegen seines häufigen Bemühens, Innovationen
einzuführen. Er beließ es nicht bei der Anwendung bewährter Technologien, sondern benutzte sein
politisches Netzwerk, etwa zum Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen-Kassel, um neueste
Technologien beim Salzsieden und der Glasproduktion in die Grafschaft Lippe zu importieren. Die
seinerzeit fortschrittlichste Salinentechnologie realisierte Simon VI. mit Unterstützung des lippischen
Adeligen Gabriell von Donop aus Wöbbel, der in braunschweig-lüneburgischen Diensten erfolgreich
die Saline in Sülze (heute Stadt Bergen) modernisiert hatte. Mittels Know-how hessischer Salzsieder
errichtete er in Salzuflen auf dem Salzhof ein modernes Salzwerk. Damit stieß er jedoch auf den
Widerstand beinahe ganz Salzuflens, was Simon VI. motivierte, vor den Toren der Stadt auf der Loose
zwei neue Salzwerke zu gründen. Weitergehende, ehrgeizige Pläne, gemeinsam mit den Salzuflern
eine moderne Saline auf dem Salzhof zu betreiben, verhinderten Streitigkeiten mit dem Stadtrat und
den Salzverwandten. Das für die moderne, Brennholz sparende Siedetechnologie benötigte
portugiesische Seesalz ließ Simon VI. auf dem Wasserweg über Bremen und die Weser anliefern.
Den lippischen Eisenbergbau und die Eisenverhüttung, ebenfalls ein typisches Beispiel
frühneuzeitlichen Technologietransfers, entwickelte und betrieb Simon VI. mit Unterstützung des
Kölner Kurfürsten Ernst von Bayern und Fachleuten aus Sauerländer und Harzer Montanregionen.
Das Resultat waren moderne, wasserkraftbetriebene Hochöfen und Hammerwerke. Von
hochqualifizierten Formern aus Marsberg geführte Gusswerke produzierten u.a. Ofenplatten und
Kanonenkugeln, ja man versuchte sich sogar im Geschützguss.
Die erste neuzeitliche lippische Glashütte, bei Berlebeck gelegen, geht zwar auf den Lemgoer
Goldschmied Hans Ist zurück, aber Simon VI. hat nach wenigen Betriebsmonaten diese übernommen.
Unmittelbar darauf hat er mit hessischen Glasmachern aus Großalmerode, dem führenden
hessischen Zentrum der Glasbläserei, die Glashütte modernisieren und vergrößern lassen. Hier und
da finden sich in Lippe noch Spuren seiner ökonomischen Aktivitäten, besonders beeindruckend, wie
Fotos im Buch zeigen, Spuren des Bergbaus bei Wörderfeld, Heesten und auf der Gauseköte (Abb. 2).
Die Publikation beruht auf einer weitestgehend erstmaligen, umfangreichen Bearbeitung lippischer
und außerlippischer Quellen und bietet dem Leser zur lippischen Regional- und
Wirtschaftsgeschichte, aber auch allgemein zur Montan-, Salinen- und Glasmachergeschichte viel
Neues, Interessantes, Überraschendes und bisher kaum Beachtetes. Auch für den an
Wirtschaftsgeschichte weniger interessierten Leser hält sie viel Lesenswertes bereit (Abb. 3).
Text: Georg Heil