Sport

Lange liegt die Überraschung in der Luft

Es wurde gelitten, gefightet und gejubelt – doch am Ende gab die individuelle Qualität des Gegners den Ausschlag: In der mit 4520 Zuschauern wiederholt ausverkauften Phoenix Contact-Arena zieht der TBV Lemgo Lippe am Ende gegen den THW Kiel mit 22:28 (11:10) den Kürzeren. „Insgesamt war es ein ganz tolles Handballspiel“, attestierte Florian Kehrmann im Nachgang sowohl seinen Spielern als auch den Zuschauern eine leidenschaftliche Darbietung, um dennoch ergänzend zu gestehen: „Um den THW Kiel zu schlagen, darf man sich keine drei Siebenmeter-Fehlwürfe leisten und zu viele freie Bälle verwerfen.“ Dennoch ärgerte sich der TBV-Coach über das (zu) hohe Ergebnis, denn: „Heute waren wir viel, viel näher dran.“

Für das Duell gegen den Tabellendritten musste TBV-Trainer Florian Kehrmann nach wie vor auf die verletzten Samuel Zehnder und Isaias Guardiola verzichten, dafür stand erstmals der junge Niederländer Thomas Houtepen aus dem Lemgoer Drittliga- Unterbau im Spieltagsaufgebot. Nach zwei gelungenen Abwehrblöcken auf beiden Seiten sah sich der TBV mit Anbruch der 4. Minute zum ersten Mal in Unterzahl, nachdem Jan Brosch Domagoj Duvnjak regelwidrig am Abschluss versucht hatte zu hindern – ohne Erfolg. In der Anfangsphase offenbarte sich den Lippern im eigenen Angriffsspiel ein schwieriges Unterfangen, gegen den Kieler Mittelblock um Hendrik Pekeler und Petter Overby aussichtsreiche Wurfchancen zu kreieren. 7:45 Minuten waren bereits von der Uhr, als Kian Schwarzer den berühmtberüchtigten Dosenöffner mimte und auf 1:3 verkürzte.

Kaum war der erlösende Jubel verhallt, folgte prompt der Schock: Jan Brosch erwischte Duvnjak unglücklich im Gesicht – und sah vom Unparteiischen die Rote Karte. Das Lemgoer Publikum war angesichts dieser Entscheidung alles andere „amused“ und bedachte Kiels Nummer vier bei jedem Ballkontakt fortan mit Pfiffen. Der Lemgoer Hexenkessel war nun aufgeheizt. Die Lipper schienen nun erst recht angefixt: Nachdem Niels Versteijnen der Anschlusstreffer gelungen war, parierte Finn Zecher mit der linken Pranke bärenstark gegen Harald Reinkind. Der Lemgoer Defensivverbund um Suton, Hutecek, Guardiola und Simak stemmte sich mit allem dagegen, sodass ein kreuzender Versteijnen nach zehn Minuten erstmals ausglich (3:3).

Auf beiden Seiten verfehlten Abspiele ein ums andere Mal ihr Ziel – und Lemgo blieb dem Favoriten von der Förde dicht auf den Fersen. Nachdem Bobby Schagen, der auf Rechtsaußen den Vorzug erhalten hatte, aus spitzem Winkel auf 5:6 verkürzte hatte, zogen die Zebras zunächst vier Tore davon. Miha Zarabec nutzte eine erfolgreiche Sperre zum Durchbruch, Yannick Fraatz vollendete einen Gegenstoß, Lemgos hingegen misslang kurz darauf. Doch die Lemgoer Angriffe nahmen ab der 24. Minute über das 7:6 Fahrt auf.Stück für Stück zurück ins Spiel. Erst glänzte Tim Suton im Eins-gegen-Eins, dann markierte Schwarzer routiniert das 8:10. Weil Eric Johanssons No-Look-Pass sein Ziel verfehlte, gelang Lukas Zerbe kurz darauf erst vom Strich der Anschluss, ehe Lemgos Nationalspieler in Überzahl den umjubelten 10:10-Ausgleich markierte. Kiels Sander Sagosen hatte zuvor seine zweite Zeitstrafe gesehen, nachdem er Schwarzer beim Rückzug gefoult hatte. Es kam noch besser: Nikola Bilyk wurde von der TBV-Deckung in eine ungünstige Wurfposition gedrängt, sodass Gedeón Guardiola zehn Sekunden vor der Halbzeitsirene sogar die erste Führung im Spiel gelang – zur Freude der TBV-Fans, die spätestens jetzt völlig aus dem Häuschen waren.

Obwohl der TBV bis zur 53. Minute noch aussichtsreich im Rennen lag, stellte sich das 12:11 durch Kian Schwarzer kurz nach dem Seitenwechsel als die einzige TBV-Führung in Halbzeit zwei heraus. Vor allem ein Kieler machte nach der Pause einmal mehr den Unterschied: Torhüter Niklas Landin. Immer wieder hatte der Welttorhüter seine Finger im Spiel, vereitelte mitunter gleich zwei Strafwürfe von Zerbe und Versteijnen. Zu allem Übel traf auch Suton vom Punkt nur den Pfosten. Nachdem Lukas Zerbe im Nachsetzen Huteceks Pfostentreffer zum 19:21 über die Linie gedrückt und G. Guardiola noch auf 20:22 (53.) verkürzt hatte, gingen in dieser Phase zu viele Angriffsversuche ins Leere – und die Lipper bei vier Toren Rückstand schlussendlich voll ins Risiko. Doch das ging schief. So handelte sich der TBV gleich mehrere einfache Gegentore ein, die am Ende über den Spielverlauf hinwegtäuschten. Nichtsdestotrotz dürfte die Vorfreude aufs REWE Final4 nach diesem lange Zeit spannenden und höchst intensiven Ligavergleich bei allen Lemgoer Fans dadurch nur größer geworden sein. Eine schöne Randnotiz: Mit Thomas Houtepen kam in der 55. Minute ein weiterer Akteur aus dem Team HandbALL erstmals in der Bundesliga zum Zug.

TBV-Trainer Florian Kehrmann: „Hinten raus hat die individuelle Qualität den Ausschlag gegeben. Trotzdem ist das Ergebnis angesichts des Spielverlaufs vielleicht etwas zu hoch ausgefallen. Leider sind wir nicht gut reingekommen, hatten sehr großen Respekt. Deshalb habe ich bereits beim 0:3 die Auszeit genommen, um den Jungs wieder Mut zuzusprechen. Dann sind wir über eine verbesserte Abwehrarbeit ins Spiel gekommen, haben in der Halbzeit mit der Führung im Rücken ein emotionales Hoch gehabt. Dann machen wir im Tempospiel ein, zwei Fehler zu viel und schenken Kiel einfache Tore. Über 60 Minuten haben wir dennoch eine sehr gute Abwehr gestellt. Entscheidend war, dass Kiel acht bis zehn Gegenstoßtore macht und wir die paar weniger. Entscheidend war aber auch, dass Landins Paraden beim Gegner geblieben sind. Wir haben mehrere Situationen, in denen Finn Zecher zwar pariert, der THW aber im Ballbesitz bleibt. So kamen wir nie richtig in Vorlage. Wir hatten mit der frühen Rote Karte eine Alternative weniger im 7:6 und in der Abwehr weniger, das merkt man dann bei einer kleinen Bank. Aber auf dieser Leistung bauen wir auf und fahren mit einem guten Gefühl nach Erlangen.“

TBV Lemgo Lippe: Zecher (7 Paraden), Kastelic; Hutecek (1), Brosch, Simak, Laerke (1), Schagen (2), Blaauw, Schwarzer (3), Suton (1), Zerbe (7/1), Versteijnen (3), G. Guardiola (4), Carstensen, Houtepen
THW Kiel: N. Landin (11/2 Paraden), Mrvka; Duvnjak (2), Sagosen (7), Reinkind (4), M. Landin (3/3), Overby (1), Wiencek, Fraatz (4), Johansson (4), Dahmke, Zarabec (2), Schwormstede, Bilyk, Pekeler (1)

PM TBV Lemgo Lippe

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